Sag mir wo Du wohnst, und ich sag Dir wie Du medizinisch behandelt wirst. Diese Schlussfolgerung scheint möglich, denn wer krank ist oder aus einem anderen Grund medizinische Hilfe braucht, wird nicht überall auf die gleiche Art behandelt. Ob schnell zum Skalpell gegriffen wird, hängt stark vom Wohnort ab. Dies zeigt der neue Faktencheck „Regionale Unterschiede“ der Bertelsmann Stiftung. Die Studie bestätigte damit die Ergebnisse einer älteren Studie aus dem Jahr 2011.
Bis zu acht Mal häufiger unters Messer
Die Experten analysierten die Anzahl an häufigen Operationsverfahren wie Entfernung des Blinddarms, Kaiserschnitt oder Bypass-Operation. Dabei ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen den Regionen. So ist es acht Mal wahrscheinlicher, dass bei einer Mandelentzündung Kindern aus dem Kreis Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz) die Gaumenmandeln entfernt werden als Kindern aus Sonneberg (Thüringen). Bei Blinddarm- und Prostata-Entfernungen gibt es ähnlich große Unterschiede. Beim Einsatz künstlicher Kniegelenke, Kaiserschnitten oder Gebärmutter-Entfernungen unterscheidet sich die Operationshäufigkeit um das Zwei- bis Dreifache.
Regionale Muster bleiben konstant
Große Unterschiede bleiben über Jahre bestehen. Bereits seit 2007 beobachtet der Faktencheck Gesundheit die Häufigkeit von Operationen in allen 402 deutschen Kreisen und kreisfreien Städten. Dabei stellten die Experten fest: Das Ausmaß der regionalen Unterschiede blieb über die Jahre bestehen. Bei manchen Eingriffen wie Blinddarm- und Prostata-Entfernungen haben sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen vergrößert. Einige Städte und Kreise weisen gleich bei mehreren Erkrankungen die deutschlandweit höchsten Operationsraten auf. Dazu zählen zum Beispiel
- Kitzingen, Neustadt an der Waldnaab und Weiden (Bayern)
- Leer und Cloppenburg (Niedersachsen)
- Landau und Birkenfeld (Rheinland-Pfalz)
Rein medizinisch nicht zu erklären
Warum die Versorgungslage zwischen den Regionen so unterschiedlich ist, können auch die Forscher nur vermuten. Regionale Unterschiede sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Gesundheitsversorgung nicht immer dem Bedarf der Bevölkerung entspricht, meinen die Experten. Denn rein medizinisch sind derart hohe Abweichungen ebenso wenig zu erklären wie durch Alters- oder Geschlechtsstrukturen.
Zudem sind Extremwerte in bestimmten Städten und Kreisen ein Indiz dafür, dass ärztliche Aufklärung regional unterschiedlich erfolgt. Ob operiert wird oder nicht, darf nicht eine Frage der Angebotskapazität oder von Gewohnheiten der ortsansässigen Ärzte sein, sondern sollte festgelegten Leitlinien folgen. Der Faktencheck stellt fest, dass das Fehlen klarer medizinischer Leitlinien die Gefahr von regionalen Unterschieden vergrößert.