Nicht bei jeder Mandelentzündung muss sofort operiert oder mit Antibiotika behandelt werden. Doch an festen Kriterien für die Behandlungsentscheidung mangelte es bislang. Eine neue Leitlinie definiert erstmals standardisierte Therapieempfehlungen.
Ma ndelentzündung: Nicht immer mit Krankheitswert
Jedes Kind erkrankt im Verlauf der ersten Lebensjahre mehrfach an Entzündungen von Rachen und Mandeln. Für den Körper ist es eine normale Abwehrreaktion, denn die Mandeln gehören zum menschlichen Immunsystem. Ein Krankheitswert liegt erst vor, wenn sich Schluckschmerzen und Allgemeinsymptome wie Fieber entwickeln. Die Mandelentzündung (Tonsillitis) ist dann Anlass für einen Besuch beim Kinderarzt, der zusammen mit den Eltern entscheidet, ob ein Antibiotikum oder sogar eine Operation notwendig ist. Standardisierte Entscheidungskriterien gab es bislang nicht. Vielmehr war es eine Einzelfallentscheidung, welche Behandlung der Patient erhielt. Und diese Entscheidung fiel durchaus unterschiedlich aus. Studien zeigten deutlich eine regional ungleiche Verteilung der Häufigkeit von Mandeloperationen und Antibiotika-Verordnungen bei Tonsillitis. Die neue Leitlinie „Therapie entzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandeln“ trägt nun dazu bei, die Diagnose und Behandlung der Tonsillitis deutschlandweit zu vereinheitlichen.
Antibiotika bei Viren-Infektion nutzlos
Ein Ziel der Leitlinie besteht darin, den unnötigen Einsatz von Antibiotika zu vermeiden. „Die akute Tonsillitis wird zu 70 bis 95 Prozent der Fälle durch Viren ausgelöst“, berichtet Prof. Dr. med. Jochen Windfuhr, Chefarzt am Krankenhaus Maria Hilf, Mönchengladbach. „Antibiotika sind dann wirkungslos. Sie können nur bei Entzündungen durch Bakterien helfen.“ Wann dies der Fall ist, kann der Arzt allein durch einen Blick in den Rachen nicht entscheiden. Die Leitlinie führt deshalb zwei altersabhängige Punktesysteme ein. Diese bewerten neben der Schwellung der Mandeln auch Fieber, Husten und Lymphknotenschwellung mit Punkten. „Erst ab einem bestimmten Punktewert wird ein Antibiotikum empfohlen“, erläutert Prof. Windfuhr. „Zusätzliche Untersuchungen wie Rachenabstriche sind nur noch für seltene Einzelfälle vorgesehen.“
Operation nur bei wiederkehrenden Mandelentzündungen
Nicht jede schwere Mandelentzündung macht eine Operation erforderlich. Die Entscheidungsgrundlage ist die Zahl von Halsschmerz-Episoden in den letzten 12 Monaten. Bei weniger als drei Episoden rät die Leitlinie von einer Operation ab. Bei drei bis fünf Episoden „kann“ die Tonsillektomie durchgeführt werden, bei sechs oder mehr Episoden ist sie „eine therapeutische Option“.
„Bei mehrfach wiederkehrenden Mandelentzündungen hat sich die Mandelentfernung bewährt“, meint Prof. Windfuhr. Sie sei aber keine Notoperation. „Nur in besonders schweren Fällen sollte die Operation zügig erfolgen“, rät der Experte. „Bei moderaten und milden Formen raten wir dazu, zunächst ein halbes Jahr abzuwarten. Nur wenn sich in dieser Wartezeit weitere Entzündungen trotz wiederholter Antibiotikumtherapie ereignen, ist die Mandelentfernung der bessere Weg.“
Erstmals Teilentfernung der Mandel empfohlen
Bei besonders großen Mandeln müssen nicht die ganzen Mandeln entfernt werden. In der Leitlinie wird erstmals auch eine Teilentfernung (Tonsillotomie) empfohlen. „Sie hat sich in schwedischen Studien bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bewährt“, weiß Prof. Windfuhr. „Die Tonsillotomie ist für die Patienten sehr viel weniger belastend.“ So ist zum Beispiel das Risiko für eine Nachblutung geringer als bei einer Komplettentfernung der Mandel. Anfängliche Bedenken, dass sich Mandelreste häufig entzünden, haben sich nicht bestätigt.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. (DGHNO KHC)