24-stündiger Schlafentzug kann bei gesunden Menschen zu schizophrenieähnlichen Zuständen führen. Das hat ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn und des King’s College London herausgefunden.
Sinnestäuschung nach schlaflosen Nächten
Bei einer Schizophrenie kommt es zu einem dauerhaften Verlust des Realitätsbezugs, der mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen verbunden ist. Besteht der Realitätsverlust nur vorübergehend, spricht man von einer akuten Psychose. Vergleichbare Denkstörungen und Sinnestäuschungen treten auch nach einem 24-stündigen Schlafentzug auf, wie eine Studie unter Federführung der Universität Bonn ergab.
Die Forscher untersuchten 24 gesunde Männer und Frauen. In einem ersten Durchgang schliefen die Testpersonen im Schlaflabor ganz normal durch. Rund eine Woche später hielten die Forscher sie die ganze Nacht über mit Filmen, Gesprächen, Spielen und kurzen Spaziergängen wach. Am nächsten Morgen berichteten die Probanden, sensibler für Licht, Farbe oder Helligkeit zu sein. Zeitgefühl und Geruchssinn waren verändert, die Gedanken sprangen. Manche Übernächtigen hatten den Eindruck, Gedanken lesen zu können oder eine veränderte Körperwahrnehmung zu bemerken.
Chaos im Gehirn
Ergänzend zu der subjektiven Einschätzung der Probanden führten die Wissenschaftler eine objektive Messung der Hirnleistung durch, die so genannte Präpulsinhibition. „Die Präpulsinhibition ist ein Standardtest zur Messung der Filterfunktion des Gehirns“, erläutert Erstautorin Dr. Nadine Petrovsky aus Prof. Ettingers Team. Das Gehirn verfügt über einen Filter, der Wichtiges von Unwichtigem trennt, um einer Reizüberflutung vorzubeugen. Im Test hörten die Studienteilnehmer plötzliche laute Geräusche über Kopfhörer. Dies verursachte eine Schreckreaktion, deren Stärke die Forscher mittels Elektroden aufzeichneten. Daraus konnten sie auf die gegenwärtige Filterleistung des Gehirns zu schließen.
Bei den Probanden war die Filterleistung des Gehirns nach 24 Stunden Schlafentzug stark reduziert. „Uns war klar, dass es nach einer durchwachten Nacht zu Beeinträchtigungen des Konzentrationsvermögens kommt“, erläutert Prof. Dr. Ulrich Ettinger vom Institut für Psychologie der Universität Bonn. „Wir waren aber überrascht, wie ausgeprägt und wie breit das Spektrum der schizophrenieähnlichen Symptome war.“ Der Experte ergänzt: „Es kam zu ausgeprägten Aufmerksamkeitsdefiziten, wie sie auch typischerweise bei einer Schizophrenie auftreten. Die unselektierte Informationsflut führte zu einem Chaos im Gehirn.“
Schlafentzug zur Medikamentenentwicklung
Die Wissenschaftler hoffen, Schlafentzug bei der Erforschung von Medikamenten gegen Psychosen und Schizophrenie einzusetzen zu können. „In der Medikamentenentwicklung werden solche psychischen Störungen in Experimenten bislang mit bestimmten Wirkstoffen simuliert. Allerdings vermitteln diese nur sehr eingeschränkt die Symptome von Psychosen“, berichtet Prof. Ettinger. Schlafentzug sei ein viel besseres Modellsystem, weil die subjektiven Beschwerden und die objektiv erfasste Filterstörung viel stärker den psychischen Erkrankungen ähneln. Gefährlich ist vorübergehender Schlafentzug für gesunde Menschen übrigens nicht: Nach einem ausgiebigen Erholungsschlaf sind die Symptome wieder verschwunden.