Die Angst davor, als verrückt oder gefährlich abgestempelt zu werden, kann psychisch kranke Menschen erheblich belasten. Dass die Sorge vor sozialer Ausgrenzung nicht unbegründet ist, belegt eine Langzeitstudie von Forschern der Universität Leipzig.
Sorge vor sozialer Ausgrenzung verzögert Behandlung
Hätten Sie Bedenken, einen Menschen mit Depression für einen Job zu empfehlen? Würden Sie einen Nachbarn akzeptieren, der unter Schizophrenie leidet? Das sind Fragen, die sich auch die Betroffenen selbst stellen. Aus Sorge vor Stigmatisierung sucht sich nicht jeder psychisch Kranke rechtzeitig Hilfe.
Die Forscher Matthias Angermeyer und Georg Schomerus legten 1990 und 2011 je 3000 Studienteilnehmern kurze Fallbeschreibungen vor, die den typischen Symptomen bei Schizophrenie, Depression oder Alkoholabhängigkeit entsprachen. Anschließend befragten sie die Studienteilnehmer hinsichtlich ihrer Einschätzung zu möglichen Ursachen und einer angemessenen Behandlung der beschriebenen Fälle. Zusätzlich befragten die Forscher die Probanden nach ihrer persönlichen Einstellung gegenüber der beschriebenen Person.
Das Gefühl des Andersseins
Die Auswertung ergab, dass die Akzeptanz für psychische Behandlungen im Untersuchungszeitraum stieg. Doch die Einstellung gegenüber Menschen mit Depression, Schizophrenie oder Alkoholabhängigkeit verbesserte sich nicht. Im Fall der Schizophrenie nahmen Angst und soziale Abgrenzung sogar zu. Etwa 30 Prozent der Befragten lehnten einen Mensch mit dieser Erkrankung als Nachbarn oder Arbeitskollegen ab – 10 Prozent mehr als in der ersten Befragung aus dem Jahr 1990. „Es ist wichtig zu wissen, dass Schizophrenie durch Medikamentation und Psychotherapie inzwischen gut behandelbar ist“, erläutert Georg Schomerus.
Die Befragten waren häufiger als 1990 der Meinung, dass Schizophrenie auf eine Erkrankung des Gehirns zurückzuführen ist. Äußere Faktoren wie Stress oder Kindheitserlebnisse blendeten die Befragten häufiger als Krankheitsursache aus.
Diese biologischen Krankheitsvorstellungen verstärken in der Allgemeinbevölkerung offenbar das Gefühl des „Andersseins“ der Betroffenen, vermuten die Forscher. Der Experte weist zudem darauf hin, dass es keine klare Grenze zwischen psychisch gesund und krank gebe. Die Realität entspreche eher einem Kontinuum. Psychische Krankheiten seien in vielen Fällen eine Frage des Schweregrads. Künftige Informations- und Aufklärungsprogramme sollten daher die vielfältigen Ursachen von psychischen Erkrankungen stärker betonen.