Auch im hohen Lebensalter sehen viele Menschen sich selbst in einem positiven Licht – trotz Einbußen auf körperlicher und geistiger Ebene. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die im Journal of Personality and Social Psychology erschien.
Anpassungsfähigkeit sinkt im Alter
„Menschen haben ein grundlegendes Bedürfnis, die eigene Person positiv zu betrachten. Dieses Konstrukt wird in der psychologischen Forschung als Selbstwert bezeichnet“, erklärt Jenny Wagner, Wissenschaftlerin am Fachbereich Psychologische Methodenlehre der Humboldt Universität Berlin (HU) und eine der Autorinnen der Studie. Doch gerade das höhere Lebensalter kennzeichnen zahlreiche Einbußen, zum Beispiel Krankheiten auf körperlicher Ebene, ein abnehmendes Erinnerungsvermögen auf kognitiver Ebene oder der Verlust von Ehepartner oder engen Freunden auf sozialer Ebene.
„Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass Menschen sich in der Regel an diese Herausforderungen sehr gut anpassen können, jedoch im sehr hohem Lebensalter und insbesondere in den letzten Jahren vor dem Tod das System Mensch immer stärker an seine Grenzen der Anpassungsfähigkeit kommt“, erläutert Denis Gerstorf, Professor für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der HU. Es wird angenommen, dass der Mensch in den letzten Jahren vor dem Tod mit so vielen Herausforderungen konfrontiert ist, dass eine Abnahme der Zufriedenheit unausweichlich ist. Doch gilt das auch für die Bewertung und Zufriedenheit mit der eigenen Person?
Vor Tod sinkt Selbstwert kaum
Die Forscher befragten über 1200 Personen zwischen 65 und 103 Jahren über mehrere Jahre zu ihrem Selbstwert. Nachdem alle Studienteilnehmer verstorben waren, werteten die Wissenschaftler die Daten aus. „Das war wichtig, um die Entwicklung nicht nur aus Altersperspektive zu betrachten, sondern um auch die Nähe zum Tod einbeziehen zu können“, begründet Gerstorf dieses Vorgehen. „Sowohl in Bezug auf das biologische Alter als auch die Nähe zum Tod fanden wir einen leichten Abfall des Selbstwertes. Dieser ist jedoch so gering, dass man eher von einer Selbstwertstabilität reden kann.“
Zudem zeigten die Daten, dass sich der Selbstwert von Person zu Person stark unterscheidet. Manche erleben im Alter Stabilität, andere einen Abfall des Selbstwerts und einige sogar einen Anstieg. Abhängig waren diese Veränderungen vor allem von zwei Faktoren: den geistigen Fähigkeiten und der Wahrnehmung von Kontrolle. Wer das Gefühl hatte, sein Leben und Verhalten bis zu einem gewissen Grad eigenständig kontrollieren zu können, hatte einen höheren Selbstwert. Dagegen konnten die Wissenschaftler keinen Einfluss der Gesundheit auf den Selbstwert nachweisen.